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MEINE SCHMETTERLINGSFRAU



Textauszüge


© Mirko Böttcher 2006




Ich kam zwei Monate früher als geplant auf die Welt.
Ich war einfach extrem neugierig. Das ist heute noch genauso. Ich will immer sofort wissen was dahinter ist, hinter einer Tür oder einer Mauer. Vorhänge und so`n Zeug, Decken, das macht mich alles total nervös.
Ich mein, ich will wissen wie etwas wirklich ist.
Und wenn ich das dann sehe, also, so wie es wirklich ist, wenn sich das dann offenbart.
Das erste Mal habe ich das im Urlaub mit meinen Eltern erlebt. Ich stehe auf einer Klippe. Das Wasser zerstäubt vor meinen Augen. Das Meer wälzt sich unablässig und sinnlos gegen die Felsen unter mir. Die Wellen rennen immer wieder gegen den Stein an – immer wieder, um ein Stück Fels mit sich zu nehmen. Der Boden wankt unter meinen Füßen.
Ich will den Moment einfrieren und ich schreie vor Glück.
Das war ein perfekter Moment. Und den will ich dann  behalten, der soll dann bleiben.



Also, ich wäre Turandot auch verfallen. Diese alabastrige Abwesenheit, diese neblige Perfektion – unnahbar – wahrscheinlich nur so anziehend in großer Entfernung, eine Blenderin, eine erotische Scheinriesin.
Irre diese Frauen bei Puccini: Totale Opferbereitschaft. Sie sind bereit bis zum letzten zu gehen für die Liebe. In diesen Todesmomenten ist Puccini ganz groß. Da ist er perfekt. Der Tod von Tosca zum Beispiel, der berühmte Sprung von der Engelsburg:
Sie entdeckt das ihr Liebster Cavaradossi leider wirklich hingerichtet wurde und schmeißt sich dann mit den Worten: “O Scarpia, avanti a Dio – O Scarpia, vor Gottes Thron“, dem Tod in die Arme.
Von diesem Sprung gibt es die verschiedensten Varianten. Am beliebtesten ist die patethisch-heroische Version. Dann gibt es natürlich den aufrecht-entschlossenen Sprung, die logische Folge einer klaren Lebenshaltung, nach dem Motto:”Hier springe ich, ich kann nicht anders“.
Ab und zu sieht man auch eine melancholisch-resignierte Tosca springen.  
In dieser Fassung, sah ich mal eine übergewichtige Tosca. Offenbar hatte man ihr hinter der Burg ein Trampolin aufgestellt. Sie plumpste also lebensmüde vom Gemäuer und kurz darauf sah man noch mal ganz kurz ihren Hintern über den Zinnen erscheinen. Ein letzter Gruß der großen Künstlerin – vielleicht war das auch bewusst so gemacht. Keine Ahnung.



Sie sagte so was Ähnliches wie: „Die Seele ist ein Organ, das Geschichte hervorbringt“. Wir würden stetig mit dem Faden der Erinnerung unsere eigene Legende spinnen, aber bei ihr wäre die Spindel kaputt, sie könnte ihr „Ich“ nicht mehr in sich selbst integrieren.
Solche Abende hatte sie in letzter Zeit immer öfter.
Ich konnte ihr nicht so richtig folgen, war mehr mit dem beschäftigt, was gleich kommen würde.








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Ich meine jede Art von Schmerz oder Gewalt macht uns reicher. Natürlich ist der Moment in dem du so ein Verbrechen erlebst, der absolute Horror... Aber sobald du merkst: Ich überlebe, ich verarbeite den Alptraum, wächst deine Persönlichkeit, du weißt: Du bist einzigartig. Als Mensch wirst du größer, vollständiger. Du lernst Seiten von dir kennen, die dir bislang absolut verborgen waren. Ich finde das ungeheuer wichtig. Ich kann Doreen echt nicht das Wasser reichen. Darum kämpf ich ständig um sie, versuche ihre Innenwelt zu begreifen und ihren oft abseitigen Wünschen nachzukommen.
Sie sagt, sie liebt mich wegen meiner Erfahrung und Flexibilität. Ich soll ihr helfen diese durchlässig gewordene Membran zu bewachen, durch die jederzeit irgendwelche Horrorgestalten und Dämonen in ihre Welt einbrechen können.

Nachdem der Psychopath abgehauen ist, ist sie noch Stunden durch den Wald geirrt, bis sie einen Bauernhof gefunden hat. Die Frau von dem Bauern hat sie dann ins nächste Krankenhaus gefahren. Da ist ihr Körper dann zu Beweismaterial geworden, wie sie sagt.



Einmal verkleidete ich mich als Darth Vader aus Krieg der Sterne, so richtig mit dieser schwarzen Maske und dem Atemgeräusch.
Ich klingelte bei Doreen, sie öffnete, ich packte sie am Genick, schleifte sie ins Badezimmer, ließ das Waschbecken mit kaltem Wasser vollaufen, tauchte ihren Kopf unter und sagte ihr, sie müsse jetzt büßen, da sie normale Menschen zu unsittlichen Handlungen verführe.
Sie musste meinen schwarzen Brustpanzer mit Fensterputzmittel reinigen und meine Schuhe sauber lecken, dann hab ich sie mit Hanfseilen gefesselt und in voller Montur gevögelt. Mann, hab ich geröchelt. Ich war dem Herzinfarkt nahe.