© Landesbühne Berlin 2006
A: Wie kann ich mein ICH vor der Agitation durch Supermärkte und Bioläden schützen?
B: Gar nicht!
A: Warum?
B: Das können nur die Superreichen. Die können es sich leisten die werbefreie Zeit für ihr Ich auszudehnen.
A: Und wie soll das gehen?
B: Die kaufen sich Anteile an garantiert kampagnenfreier Zeit, so genannte DryOuts.
C: Du kannst auch einfach im Bett bleiben.
A: Da werd ich dann aber von meinen Gedanken agitiert.
B: Das sind doch deine Gedanken. Die agitieren dich doch nicht.
A: Ich hab nicht das Gefühl, dass das meine sind. Die kommen einfach, wie irgendwann bestellt und dann vergessen. Die nehmen sich
einfach meinen Körper, um sich auszutoben. Das hat absolut nichts mit mir zu tun.
A: Meine Gedanken sind im Auftrag von Coca- Cola unterwegs.
C: Meine Gedanken sind Fluchtwege zwischen zwei Unglücken.
B: Das Unglück ist der größte Geschichtenschreiber.
A: Ich dachte das wären die Gebrüder Grimm.
C: Die haben nur gesammelt und nicht geschrieben.
A: Und wer hat die agitiert?
B: Wen, die Geschichten?
A: Nein, die Gebrüder.
C: Na, die Geschichten.
A: Und Merkel, von wem oder was wird die agitiert?
C: Von der Kanzlerinnenrichtlinienkompetenz.
B: Quatsch, von der Frisur von Udo Walz.
A: Und wie kann ich mich vor der Agitation durch Sperma schützen?
C: Gar nicht!
B: Das kann nicht mal die Merkel.
A: Und die Griechen?
C: Na, die werden von diesen Schatten agitiert.
A: Aber wie saßen denn sie da?
B: Na, auf Steinen. Gefesselt.
A: Und was haben die gesehen.
C: So eine Art Theater, an der Steinwand.
A: Am Strand?
B: Nein, in einer Höhle.
B: Und dann kam einer, der sagte:
A: Boah ey, guck mal da draußen.
B: Und die anderen haben gesagt:
B/C: Halts Maul!
A: Und die Deutschen?
B: Die singen.
C: Was singen die denn?
B: Ihre Hymne.
A: Und wie geht die?
Alle: Deutschdeutschedeutsche! Wir sind Oskar, wir sind Papst, wir sind Knut.
A: Und die Schweizer?
B: Tunnel, Tell und Appenzell.
A: Und du? Wen agitierst du?
C: Dich!
A: Wieso?
C: Um möglichst effektiv die da zu agitieren!
zeigt auf die Zuschauer
A: Effektiv?
C: Das Ticket in deren Gedächtnis ist unser Ticket ins Dasein.
A: Kapier ich nicht, du Scheiss-Intellektueller.
C: Hör mal zu, du Trutsche, wir müssen durch das Nadelöhr des Jetzt, in die Erinnerung von denen da gelangen.
A: Was soll ich da, du Oberbullshitter du, was soll ich in Fremdhirnen?
C: Du musst Teil einer Anekdote werden, nur so Kannst du sicher sein, dass du existierst, du Kot einer Stubenfliege.
A: Teil einer Anekdote werd ich nur, wenn sich hier heute einer auf dem Nachhauseweg den Hals bricht oder völlig überraschend
dreckigen geilen Sex hat.
Dann heißt es, ich hab mir den Hals gebrochen oder dreckigen geilen Sex gehabt,
nach dem ich aus dem Theater kam, wo diese Gruppe aus, äh, wo kamen die noch mal her, wie hießen die noch mal?
Wanderdüne, Landebühne…?
Siehste, klappt nicht!
C: Du kriegst das Ticket in die lebenslange Unsterblichkeit eben nur, wenn du hier was mindestens so Beeindruckendes machst, wie
Halsbruch oder Straßenfick.
Ich langweilte mich schon eine ganze Zeit mit mir selbst. Ich sollte mich mal wieder neu einstellen lassen, dachte ich mir und
machte mich auf den Weg zum nächsten Profiler-Automaten.
Ich hatte mich fast aufgebraucht und sehnte mich nach einer neuen aufregenden Mischung, um meinem Leben wieder einmal eine
neue Richtung zu geben. Mir schwebte eine Kombination aus Schwarzenegger light, concentrated Marx und einer Prise Napoleon vor. Das
Ganze auf einer Basis von Wut und Sehnsucht.
Auf dem Weg zum Automaten ließ ich mir meinen gewünschten Cocktail von meinem Privatgott legitimieren. Die Behörde
für spirituelle Grundausstattung hatte mir als personal Caretaker Mustafa zugewiesen.
Ich stellte ihn mir immer als orientalischen Enddreißiger mit glänzendem lila Jogginganzug und Badeschlappen vor. Aber
natürlich bekam man seinen Privatgott nie zu Gesicht.
Am nächsten kam man ihm in den intrauterinären Glücksblasen.
In diesen Paradiessimulatoren hatte ich schon ausführlich philosophische Diskussionen mit ihm geführt. Er war ein netter Kerl,
manchmal etwas dogmatisch, aber sehr tolerant, was die Legitimation aufregender Cocktails anging.
Ich wavte Mustafa meine geplante Neuausrichtung zu. Er war begeistert.
Am Profiler-Automaten angekommen, tippte ich meine Bestellung in den Automaten.
Abschließend musste ich meine persönliche PIN eingeben um den Vorgang mit der Profilabgleichung ordnungsgemäß
abzuschließen. 35879. Der Automat fiepte, eine Stimme herrschte mich an: „Geben sie sofort ihre gültige PIN ein.“
Ich musste mich vertippt haben. 35879 – schrilles Fiepen. Die Stimme: „Sie haben nur noch einen Versuch.“
Fieberhaft überlegte ich welche Zahlen ich verwechselt haben könnte. Ich probierte die 35978, der Automat fiepte noch lauter,
gleichzeitig befahl die Stimme: „Ihre PUK, sofort die PUK oder ihre Daten werden zum Abschuss freigegeben.“ Ich zückte
mein Portemonnaie durchwühlte es mit schweißnassen Händen und fand auf einem Schmierzettel eine zehnstellige Nummer. Das
musste meine PUK sein, ich hatte sie noch nie benutzen müssen.
In meinem letzten Cocktail war definitiv ein zu hoher Anteil an Vergesslichkeit.
Ich hatte mir davon eine größere Aufmerksamkeit für den Moment versprochen, offenbar aber die Nebenwirkungen falsch
kalkuliert. So ein Mist. Mustafa hätte mich warnen sollen.
Zitternd gab ich meine PUK ein, der Automat fing an zu beben, eine Sirene ging in ohrenbetäubender Lautstärke los. Die Stimme
kreischte: „Daten werden zum Abschuss freigegeben.“
Ich machte mich schnell davon.
Die einzige Chance, die mir noch blieb, war sofort einen Dealer zu finden, um mich möglichst schnell wieder aufzubauen. Egal, was
er auf Lager hatte, egal, ob gepanscht oder nicht.
Ich wavte Mustafa und fragte ihn, wo der nächste Allround-Pusher zu finden war.
Seine Antwort war kaum mehr wahrnehmbar, aber es musste sich offenbar in der Sohle zwischen den nächsten Blocks ein Pusher
befinden.
Ich rannte los.
Der Pusher sah aus wie Mustafa. Er verkaufte gerade einer abgeranzten Gestalt einen braunen Brocken.
„Schnell, ich brauche einen Cocktail, egal was sie haben, ich nehme alles.“ Der Pusher beachtete mich nicht und verhandelte
mit dem Anderen über den Preis. Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Er sah sich verwirrt um. Er konnte mich
nicht mehr sehen.
Es war zu spät, ich löste mich auf. Panisch riss ich ihm den braunen Brocken aus der Hand und rannte weiter.
Ich musste mir diese unbekannte braune Masse möglichst schnell irgendwo einverleiben, in der Hoffnung, dass darin ein paar neue
Basics waren.
Auf der Suche nach einer geschützten Ecke, hetzte ich über die Prekariatssteige, deren Fugen sich immer weiter öffneten.
Meine Umwelt zerfiel.
Zwischenräume taten sich auf. Ich musste von Scholle zu Scholle springen schließlich stürzte ich ins Nichts.
Ich fiel, schwerelos, durch die Nacht, ohne Zeitgefühl. Irgendwann sah ich eine Müllhalde voll mit nicht gelebten Leben.
Rechterhand flog die Siedlung der verschwundenen Jugend, die Hikikomori, an mir vorbei. Mir wurde übel.
Ich landete unsanft auf einem hölzernen Hocker an einer Bar.
Zu meiner rechten saß eine abgetakelte Fregatte, die wie aus dem letzten Jahrtausend aussah.
„Hi Süßer“, hauchte sie mich an und räkelte sich mir entgegen. „Hab so lange auf dich gewartet und
jetzt bist du endlich da“:
„Glaub ihr kein Wort“, giftete mich von links eine etwas strenge, gestylte die sich in unglaublicher Geschwindigkeit die
Nägel feilte, „das sagt sie jedem, die spinnt und stinkt, guck sie dir doch an“.
Mir war klar, dass ich mich in der Kantine des Lagers der Basics befand. Hier hingen lange nicht bestellte Eigenschaften rum und
ödeten sich an.
Ich wusste, ich muss hier raus. Mir fiel die braune Masse vom Pusher ein, und ich fing an, sie mir in den Mund zu stopfen.
Ich kippte vom Hocker und schlief auf der Stelle ein.
Ich erwachte in einer alptraumhaften Welt:
Die Menschen waren vollkommene Sklaven ihrer Identität. Sie klebten an ihren Eigenschaften, glaubten tatsächlich ihres eigenen
Glückes Herr zu sein. Ich wusste nicht ob ich lachen oder heulen sollte. Völlig primitiv zerbarsten sie unter der
Verantwortung für sich selbst.
Es gab weder Glücksblasen noch staatlich organisierte Metaeinheiten, wie z.B. Privatgötter.
Orientierungslos lechzten diese Wahnsinnigen nach einer Art Verwirklichung von etwas, was sie zu sein glaubten, aber
natürlich überhaupt nicht waren.
Da sie nur in Begriffen des Erreichens dachten und handelten, wurden sie ständig Opfer professioneller Kampagnenteams, die ihnen
ihre Eigenschaften ersatzlos aussaugten und damit extremen Profit machten.
Getrieben von der Angst nicht erkannt zu werden, opferten sie sich völlig für die Kampagnenteams auf, die ihnen im Gegenzug
eine Identität verkauften, die sich sofort in Luft auflöste und sie in ständiger Abhängigkeit hielt.
Die Menschen wankten völlig entladen durch ihre Pseudowelt.
Das ganze war so grotesk, dass ich einen Lachanfall nach dem anderen bekam, bis ich merkte, dass ich aus diesem Traum keinen Ausweg mehr
fand.