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PATENTÖCHTER



Berliner Morgenpost, 16.11.2013


Und so spielen Claudia Wiedemer und Silke Buchholz in diesem geradlinigen, feinen Kammerspiel, das eher tragisches Familien- als Politdrama ist, (…) die Geschichte zweier Frauen, die ironischerweise durch die Tat aneinander gekettet sind. Unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen freilich.
Wiedemer und Buchholz gehen behutsam mit ihren Figuren um, stellen sie nicht dar, sondern im besten Sinne nebeneinander vor. Weshalb dieser Abend genau genommen kein Dialog ist, sondern eine Art Duett, mit wechselnden Einsätzen. Und das durchaus auch im musikalischen Sinn, denn an Cello (Wiedemer) und Klavier (Buchholz) liefern die beiden auch gleich noch musikalische Untermalung. Mit wechselnden Einsätzen, auch zweistimmig bisweilen, meist da, wo sich Erinnerungen kreuzen, an die Kindheit zum Beispiel, die, wie das bei befreundeten Familien eben so ist, zeitweise eine gemeinsame war.
Vor allem aber ist es ein Abend, der mitten in die Gegenwart reicht. Welche Rolle spielten Stasi, BND und BKA bei der Angelegenheit und warum ist bis heute manches so nebulös? Diese Fragen stellen sich beide. Und wenn ganz am Schluss dann doch noch das Stichwort Versöhnung fällt, dann ist es keine, die die Frauen miteinander aushandeln müssen. Wenn es überhaupt Versöhnung geben kann, dann müsste es die mit einer lückenhaften Geschichtsschreibung sein.



Martin Linzer in Theater der Zeit Januar/2014


Das ist ein berührender, sehr intimer Dialog zwischen Angehörigen der Täter- und Opferseite. Nicht zufällig ist auch hier ein epischer Text Grundlage für eine theatralische Konfrontation. deren Wirksamkeit darin besteht, dass eben nicht aufklärerisch dokumentiert wird, sondern Nachgeborene schildern, ausdrücken, wie sie emotional mit dem historischen Geschehen umgehen und wie die Geschichte mit ihnen umgeht
An der Inszenierung von Mirko Böttcher bemängelt nachtkritik.de (s.u.) kurioserweise, dass
„der Erzählung keine weitere Ebene hinzugefügt wird, die sich – beispielsweise - der Geschichtsschreibung oder der Funktion kollektiver Erinnerung widmet“ und fragt „warum dieser Stoff im Theater behandelt werden muss“. Aber das ist ja gerade der Witz, dass der bewusste Verzicht auf punktgenaue Dokumentation und auf „kollektive Erinnerung“ die Geschichte für das Theater möglich macht: Gefühle statt Fakten. Das Kerngeschäft des Theaters.
Eigentlich wollte ich nur auf eine Entdeckung im entdeckungsfreudigen Theater unterm Dach hinweisen.



Neues Deutschland, 13.12.2013


Das Theaterstück »Patentöchter« von Mirko Böttcher im Theater unterm Dach beginnt mit einer fulminanten Szene: Zwei Frauen erinnern sich an einen Tag, der ein familiärer Einschnitt war und zugleich ein historisches Datum wurde. (…)
Dies ist ein starker Auftakt. (…)
Die Protagonistinnen beschränken sich in ihrer Sicht auf die RAF auf einzig deren Brutalität und lassen die historische Einbettung des - freilich anmaßenden - Stadtguerrilla-Konzepts in die politischen Kämpfe der 70er und 80er Jahre außer Acht. Das ist in weiten Teilen der Inszenierung seine Stärke. Zeigt sie doch den radikal subjektiven Blick, den die beiden Frauen auf die historischen Ereignisse haben und in dem sowohl die traumatischen Auswirkungen auf die Angehörigen als auch das zwischen Sensationsgier und klischeehafter Vereinfachung changierende Verhalten der Gesellschaft sichtbar werden.



»Patentöchter« ist eine Inszenierung mit beunruhigenden Botschaften. Wenn Einzelne sich zu Richtern aufschwingen und Geheimdienste ein seltsames Spiel mit den Bedrohern ihrer Ordnung treiben, mit jenen also, die nämlich Garanten ihres eigenen Arbeitsplatzes sind und perspektivisch zu Bedrohern der Ordnung ihrer Gegner werden können, bei solchem Spiel bleiben nicht nur die Angehörigen der Täter, sondern gleich die gesamte Zivilgesellschaft auf der Strecke. Schon seltsam, dass die NSA ihren Edward Snowden hat, im Falle des BKA aber Whistleblower fehlen.



zitty 2/2014


Corinna Ponto, Tochter des von der RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto, und Julia Albrecht, Schwester der RAF-Frau Susanne Albrecht, haben in einem Buch die Kollateral-Effekte" des Terrors auf das eigene Leben eindrucksvoll notiert.
Mirko Böttcher hat im Theater unterm Dach ihre Geschichte mit den Schauspielerinnen Claudia Wiedemer und Silke Buchholz einfühlsam umgesetzt.
Ponto und Albrecht beschreiben, wie der Terrorakt zunächst wie ein Blitz in ihr Leben fuhr
- und wie sie fortan nicht mehr sie selbst, sondern nur noch als ,,die Schwester von ..." und
,,die Tochter von ..." wahrgenommen wurden. In aller Bitterkeit vermerken Buch und Inszenierung aber auch komische Begebenheiten, etwa wenn Wiedemer in der Rolle der Julia Albrecht erzählt, wie ihre Umgebung mit Fahndungsplakaten der Schwester zugepflastert war und sie sich erst nach dem Entschluss, das vertraute Konterfei bei jedem Plakat mit ,,Hallo Schwesterchen" zu begrüßen, aus der Starre befreien konnte.
Ein starkes Stück politischen Dokumentartheaters.



 

Cellesche Zeitung, 18.11.2013


Ganz eindringlich wird´s bei der Erinnerung an die Festnahme von Susanne Albrecht 1990 in Berlin-Marzahn, als das Duo jede Distanz fahren lässt. „Ich war glücklich“, sagt Julia. „Ich musste kotzen“, sagt Corinna. In solchen Momenten erreicht das Theater eine Unmittelbarkeit, die ein Buch nie einlösen kann.
Schließlich reißt Corinna Ponto die Grenze zwischen dem Privaten und dem Politischen endgültig nieder: „Ich glaube nichts mehr!“. Warum sind die Zusammenhänge mit dem internationalen Terrorismus nie geklärt worden? Warum sind so viele Akten vernichtet, bleiben andere der Öffentlichkeit verborgen(…). Welche Deals gab es bei der Wiedervereinigung?
Dieser Theaterabend ist eine Herausforderung, und hier passt es besonders gut, dass im Malsaal hautnah gespielt wird. Hingehen, anschauen, miterleben!

Nachtkritiken, 8.11.2013


Mirko Böttcher hat das Buch für die Bühne entdeckt und daraus eine Theaterfassung gemacht, die dieses denkwürdige Verhältnis von Opferangehörigen und Täterangehörigen untersucht. Nach jahrzehntelanger Funkstille zwischen beiden Familien war es Julia Albrecht, die Corinna einen ersten Brief schrieb – und prompt Antwort erhielt. Womit sie nicht unbedingt gerechnet hatte, schließlich lag der Vorwurf in der Luft, Albrechts Eltern hätten von der politischen Radikalisierung ihrer Tochter gewusst und trotzdem für sie die Übernachtungsmöglichkeit bei Pontos arrangiert.
Mit zwei Schauspielerinnen geht Böttcher den schnörkellosen, auf den Inhalt konzentrierten Abend an, lässt die Protagonistinnen erst die Tat erzählen, bevor es um ihre persönlichen Geschichten dazu geht.
Meist zum Publikum gerichtet, manchmal Blicke austauschend, selten interagierend und doch unsichtbar verbunden, tragen beide Frauen die sich anverwandelten Biographien vor.

Die Inszenierung, die zu keinem Zeitpunkt etwas falsch macht, muss sich aber gerade deshalb die Frage gefallen lassen, warum dieser Stoff im Theater behandelt werden muss. Was die Bühnenpräsentation zum Beispiel einem Dokumentarfilm oder dem Lesen des Buches voraus hat.
Die Frage ist insofern schwer zu beantworten, als der Erzählung keine weitere Ebene hinzugefügt wird, die sich – beispielsweise! – der Geschichtsschreibung oder der Funktion von kollektiver Erinnerung widmet.
Wenn sich nur der Spagat schaffen ließe – kuschelige Einigkeit zu vermeiden, aber freilich ohne dabei den Respekt und die Würde der Sache zu verraten. Dann könnte man diese wissenswerte Hintergrundvermittlung vielleicht so nur im Theater erleben.

Kommentare zur Nachtkritik vom 8.11.2013


 

Gretel Walfisch , 9.11. 2013 - 01:07 Uhr


1. Patentöchter, Berlin: unauflöslicher Konflikt
Ich muss Herrn Weigel heftig widersprechen! Ich war gerade in der Vorstellung, und was ich erlebt habe, war so nicht nur NUR im Theater möglich, es hat mich sogar nach langem wieder an das Theater als politischen Ort glauben lassen. Vor den Augen eines Publikums, das aus lauter Nachkommen von Tätern und Opfern besteht, wird da das Verhältnis zwischen dem Kind eines Mordopfers und der kleinen Schwester der auf ganz perfide Weise am Mord Beteiligten verhandelt. Durch eine großartige Dramatisierung und zwei großartige Schauspielerinnen leistet das Theater unglaublich Wichtiges: man versteht beide Positionen, versteht was die beiden Frauen fühlen, und man wird mit voller Wucht in einen unauflöslichen Konflikt hineingezogen. Man fühlt, wie es sein muss, für immer zu einer Opferfamilie zu gehören,dadurch beschädigt zu sein, und auch wie es sein muss, wenn die über alles geliebte Schwester am Mord am Vater einer eng befreundeten Familie beteiligt war, ihn überhaupt erst möglich gemacht hat. Aber die größte Identifikation findet nicht mit einer der beiden Frauen statt, sondern mit dem, was zwischen ihnen steht, mit der riesigen Frage, die hier verhandelt wird: wie können diese beiden miteinander weiter leben? Man wünscht sich eine Katharsis und begreift auch, dass das nicht möglich ist. Und anders als bei der Lektüre des Buches- ist das KEIN deprimierendes Erlebnis! Denn dass man da nicht allein sitzt, sondern sich gemeinsam solchen Fragen aussetzt, und zwar total emotional (die Stimmung war zum Zerreissen gespannt) und trotzdem ohne jede intellektuelle Vereinfachung, schafft eine Gemeinschaft. Diese Private: Mord in der eigenen Familie- ist extrem politisch.was tun, wenn das passiert ist? Diese Frage für eine Zeit weder verdrängen noch vergissen noch abschieben, sondern gemeinsam aushalten- das geht im Theater, das kann Theater- und tut es hier. Danke an alle Beteiligten, das ist ein großer Abend.



kaum , 09. November 2013 - 12:18 Uhr


2. Patentöchter, Berlin: künstliche Volte
Die Kritik, dass die Frage offen bleibe, was denn diese Inszenierung einem Dokumentarfilm oder dem Lesen eines Buches voraushabe bzw dass sie doch sinnvollerweise ganz andere Fragen(die Funktion kollektiven Gedächtnisses etc) hätte behandeln sollen, finde ich eine äußert künstliche Volte in einer Theaterkritik. Da gibt es eine Inszenierung, die es ermöglicht Inhalte des kollektiven Gedächtnisses nach Jahrzehnten nochmals neu aus einer (bzw zwei) anderen Perspektive(n) zu betrachten, die Lücken genug lässt und dabei präzis genug ist, um je nach Horizont des Betrachters eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Fragen aufzuwerfen und erstmal unversöhnlich im gemeinsam geteilten öffentlichen Raum(des Theaters) stehen zu lassen und soll dann aber irgendwie schon wieder was ganz anderes sein müssen. Warum diesen Stoff im Theater? damit die interessanten relevanten unsere Realität und unser kollektives Gedächtnis betreffenden Fragen nicht nur im Film stattfinden. und warum noch? weil man im Theater sieht um was es bei diesen Fragen eben immer auch geht, um das Lebendig(oder Tot)-Sein von Menschen, um Annäherung, Austausch, Streit, das Teilen von Zeit und Gesprächsbereitschaft, um die Frage auf welcher Basis wir eigentlich als MENSCHEN miteinander leben (können). Mir scheint die Inszenierung sehr gelungen. Man muß nicht teilen, was die Fragen der portätierten Personen sind, aber man wird durch ihre Fragen hindurch mit den eigenen konfrontiert, man wird konfrontiert mit einer grundsätzlichen Frage (der alten Frage der RAF) nach Haltung.